Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 19.01.2022

    Die Editing Challenge der DFA mit Ruth Stoltenberg

    Ein Beispiel dafür wie Auswahlen funktionieren können

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    Viele von uns stehen vor der Herausforderung, eine Auswahl von Fotos aus einem Projekt vornehmen zu müssen. Sei es für eine Ausstellung oder einen anderen Verwendungszweck. Eine schöne Herausforderungen, doch die Qual der Wahl bleibt. Nach welchen Kriterien soll ich meine Auswahl treffen? Bin ich selbst zu sehr involviert, um eine gute Entscheidung zu treffen? Hole ich mir Rat und Beistand?

    Die Deutsche Fotografische Akademie bietet mit der Editing Challenge ein Format an, das zeigt, wie Experten  eine Auswahl treffen und welche Kriterien sie verwenden. Nicht abstrakt, nicht theoretisch sondern am Beispiel von Bildmaterial herausragender Künstlerinnen und Künstler, die erfolgreich auf dem Feld der Fotografie unterwegs sind. Zu diesem gelungenen Format kann man die DFA nur beglückwünschen.

    Am 14. Januar fand eine Ausgabe der sogenannte Editing Challenge statt, auf der der  Fotobuch-Experte Wolfgang Zurborn (DFA/ Lichtblick School) gegen Nico Baumgarten antrat, um aus dem Bildmaterial der Fotokünsterlin Ruth Stoltenberg (VizePräsidentin der DFA) einen Buch-Dummy zu erstellen. Beide präsentierten ihre Auswahl, erläuterten ihre Herangehensweise ausführlich und stellten sich der anschließenden Diskussion mit den Gästen auf Zoom.  Moderiert wurde die Challenge von Boris Eldagsen, verantwortlich für die Online-Auftritte der DFA. Die DFA wird dieses Format in regelmäßigen Abständen anbieten. Jeder und jede kann auf  Zoom als Gast an diesen Veranstaltungen teilnehmen. Ich habe teilgenommen und viel gelernt.

    Ruth Stoltenberg hat 185 Bilder gut geordnet zur Verfügung gestellt. Sie stammen von einem Aufenthalt in der Künstlerresidenz "Waaw" in Saint-Louis, Senegal, der von der Kulturbehörde Hamburg unterstützt wurde. Ein Teil der Bilder wurde bereits in der Gemeinschaftsausstellung in der  Galerie SIKI, Saint-Louis, Senegal gezeigt.Ruth Stoltenberg erzählt einleitend von ihren mannigfaltigen Eindrücken, die sie in der Stadt gewonnen hat. Die Vielfalt drückt sich in einem sehr heterogenen Bildmaterial aus. Sie hat an Türen geklopft, um Einlass gebeten. Viele Tage ist sie immer wieder dieselben Wege abgelaufen, hat sich mit der Umgebung vertraut und die vor Ort lebenden Menschen mit ihrer eigenen Person vertraut gemacht. So sind ihre Fotos entstanden. Sie zeigt das sehr einfache gleichwohl intensive Leben vor Ort, den Verfall der Kolonialarchitektur, stille atmosphärisch dichte Bilder von Innenhöfen mit Baobabs und Szenen der Verwesung am Strand. Sie hatte sich gründlich auf die Reise vorbereitet und plant jetzt ein Fotobuch - angereichert mit Texten afrikanischer Autoren - zu erstellen. Ihre intensive und sensible Beschäftigung mit dem Senegal und der Austausch mit den Menschen vor Ort gehen also  weiter. Auf das Ergebnis darf man sich jetzt schon freuen.

    Nico Baumgarten stellt an den Anfang seiner Begründung Überlegungen zum Kolonialismus und zum  Fotografieren der Anderen. Er betont die Notwendigkeit, im Lichte dieser Themen, gerade in Afrika sensibel zu fotografieren. Wer würde dem widersprechen wollen? Er vermisst in vielen  Fotos der Ruth Stoltenberg, die Personen vor Ort zeigen, die Interaktion mit der Fotografin und eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Menschen. Der Vorwurf der geschichtsvergessenen Oberflächlichkeit steht im Raum. Er spricht der Fotografin das Recht ab, ihre Geschichten und Erlebnisse mit solchen Fotos zu schildern. Und entscheidet sich demzufolge für eine Auswahl, die seinen „Bauchschmerzen“ Rechnung trägt sprich er sortiert fast alle Fotos aus, die Menschen zeigen.

    Auch wenn die Auswahl des Nico Baumgarten einen roten Faden hat und durchweg aus tollen Fotos besteht, ist seiner Begründung fragwürdig. Er diskreditiert nicht nur einen Teil der Aufnahmen der Ruth Stoltenberg, sondern das Genre der Streetphotography insgesamt wie Wolfgang Zurborn später überzeugend einwendet. Zugespitzt könnte man fragen: Wollen wir Europäern - ob nun  künstlerisch orientierte Fotografinnen oder auch „nur fotografisch aktive Touristen“  - verbieten, in Afrika zu fotografieren? Oder soll Fotografie nur noch unter „moralisch durchgeprüften Laborbedingungen“ stattfinden, die dazu führen können, dass das Medium nur noch einigen Auserwählten zur Verfügung steht? Und wer entscheidet, welche Art von Fotografie ethisch vertretbar ist? Falsch verstandene Empathie kann ebenso negative Folgen haben wie die fehlgeleitete Aufarbeitung einer problematischen Vergangenheit. Damit helfen wir niemanden, auch nicht den Afrikanern, die in der Kolonialzeit unsäglich leiden mussten, deren Leidenszeit noch längst nicht zu Ende ist und denen wir noch viel schulden.

    In der Kunstwelt werden derzeit Debatten geführt, wie die Diskussion über die Frage, ob eine weiße Künstlerin Bilder malen darf, die die Geschichte schwarzer Menschen erzählen. Rassismusvorwürfe wurden gegen Martin Parr erhoben, unberechtigt aber wirkungsvoll. Eine hochexplosive Gemengelage, auf die man nur mit größter Vorsicht und viel Bedacht rekurrieren sollte, wenn man das Werk von Kolleginnen beurteilt. Man darf das moralische Diskreditierungspotential, dass in solchen Diskursen steckt, nicht unterschätzen. Was selbstverständlich gar nicht geht, ist dieses Potential einzusetzen, in dem man das Werk von Fotografen gezielt in ethisch und emotional aufgeladene Kontexte wie die Kolonialismusdebatte einordnet, um die Künstler zu beschädigen.

    Hannah Black kritisiert das Whitney Museums für die Präsentation eines Bildes von Dana Schutz, das den Jugendlichen Emmett Till 1955 in seinem Sarg zeigt und damit die Gewalt, die gegen Till verübt wurde, thematisiert. Hannah Black erkennt darin ihrerseits einen Akt der Ausbeutung und der Gewalt, der gegen Emmett Tills Andenken verübt werde. Die Kritik ist hoch umstritten und wird mit dem Zensurvorwurf erwidert. Ein Kritiker der auf solche Argumentationsmuster zurückgreift, wenn er Bilder einer Fotografin zu beurteilen hat, die in den Straßen einer afrikanischen Stadt Menschen fotografiert, ohne den Hauch von Herablassung und Überheblichkeit und mit viel Sensibilität, muss sich die Frage nach der mit seiner Kritik verbundenen Absicht gefallen lassen.

    Wolfgang Zurborn geht einen anderen Weg. Was die Begründung und die Auswahl selbst angeht. Ihm geht es darum, der Vielfalt der angebotenen Fotos zu entsprechen, sprich eine Methode zu finden, die die Portraits, Straßenszenen, die am Strand gesammelten  Motive und damit die Gesamtheit  der erfassten Eindrücke verbindet und dem Betrachter in einer schlüssigen Form kommuniziert. Es ist für Wolfgang wichtig und selbstverständlich, dass „der Mensch in der Auswahl auftaucht“, gerade auch weil er selbst aus der Streetphotography kommt. Der Komplexität des Lebens kann man aus seiner Sicht nur gerecht werden, wenn man Menschen auch unbemerkt fotografiert. Er wehrt sich wie ich meine mit Recht dagegen, zentrale Wesensmerkmale der  Streetphotography zu diskreditieren und über Bord zu werfen. Damit spricht er sich nicht gegen Fotoprojekte aus, die die Interaktion von Fotografen und Fotografierten in den Vordergrund stellen. Es gibt aber auch anderes und vieles mehr, das Berechtigung hat und das will er sich nicht verbieten lassen. Seine Auswahl wird sowohl der Vielfalt der Motivwelten wie auch der von Ruth Stoltenberg angewandten fotografischen Stile gerecht. Er läßt sich auf das Projekt der Ruth Stoltenberg ohne Vorbehalte und Vorurteile ein. Er lehnt jede von ideologischen Gesichtspunkten geleitete Vorselektion ab. Danke dafür!

    Schaut dieses phantastische Format auf Facebook und seid bei nächsten Mal als Gast dabei! Es wird wieder spannend!

    Christoph Linzbach


    https://ruthstoltenberg.de/aktuelles/senegal_siki.html

    https://www.facebook.com/deutschefotografischeakademie/videos/235006428809888