Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 20.10.2021 Hintergrundwissen

    Serielle Fotografie II

    Der Versuch einer Annäherung




    Es scheint also wenig sinnvoll zu sein, den Begriff der Sequenz gleichberechtigt neben den der Serie zu setzen, wenn es darum geht, ein Kunstwerk näher zu bestimmen, dass aus mehreren Elementen besteht, die einen Zusammenhang aufweisen. Wie grenzt sich aber der Begriff der Werkgruppe von dem Begriff der Serie ab? Es wird als Unterschied angeführt, dass eine Werkgruppe aus Elementen besteht, die nur über das gezeigte Sujet verbunden sind, während in einer Serie alle Elemente einen einheitlichen formalen Regelwerk folgen. Das klingt auf den ersten Blick überzeugend. Leider gibt es gerade auch in der zeitgenössischen Fotografie Serien, die formale Regeln nicht erkennen lassen.

    Der Künstler Steve Luxembourg zeigte während des diesjährigen Portofolio-Wettbewerbs der DFA eine Serie zur Symbolik des Berges bestückt mit Fotografien aus - wie er es nannte - “drei verschiedenen Bildwelten“. Eine der Serien besteht aus einem Schwarzweißfoto der Kaliberge in Hannover, einer Studiofotografie eines Steins in Bergoptik drapiert,  die er als fiktiven Berg bezeichnet und als drittes Element eine teilweise geschwärzte Bibelseite, die für mit der Metaphorik des Berges steht. Die drei Bildwelten sind erstens Landschaften an der Grenze zur Zivilisation, zweitens Fundstücke in der Natur und drittens die Auseinandersetzung mit christlichen Orten und Symbolik. Wir haben es hier weder mit einer Werkgruppe nach der oben genannten Definition zu tun, die durch ein Sujet zusammengehalten wird noch läßt die Serie des Steve Luxemburg durchgängig formale Regeln erkennen.

    Der Begriff  der Werkgruppe ist also nur insofern hilfreich, als er auf die Bedeutung des Sujets hinweist, dass auch in vielen Serien eine wichtige Rolle spielt. Die Serie des Steve Luxembourg werden einzig und allein von einem Thema getragen. Sie weist keinen bildgestalterischen und formalen Zusammenhang zwischen den Fotografien auf. Sie verweist uns damit auf das zentrale Merkmal, dass konstitutiv für den Begriff der Serie in der Malerei und Fotografie steht, nämlich die inhaltliche Verknüpfung der einzelnen Elemente durch den Künstler, die seine Botschaft konstituiert.

    Der Künstler Mel Bochner erläutert in seinem 1968 erschienenen Artikel „The Serial Attitude“ mit Blick auf serielles Arbeiten „Serial order is a Methode, not a style“ Eine Serie ist für ihn also kein Stilmittel, dass eine bestimmte Ästhetik zum Ausdruck bringt. In einer Serie manifestiert sich eine Haltung. Eine Serie entsteht nach seiner Auffassung nicht intutiv, sondern ist Ausdruck eines vorher festgelegten Konzepts. Ein Steve Luxemburg entscheidet am Anfang über die inhaltliche Ausgestaltung seines Werkes. Dann folgt die Umsetzung. Das Konzept wenn man so will schafft das Kunstwerk.

    Die  Kunstströmungen  des 20. Jahrhunderts setzen  fast ausnahmslos auch auf Serien. Die zeitgenössische Kunst wäre ohne das Medium Serie kaum mehr denkbar. Es ist die konzeptionelle Offenheit und formale Gestaltungsbreite des seriellen Arbeitens, die viele Künstlerinnen und Künstler anspricht. Als einer der Ausgangspunkte für serielles Arbeiten in der Kunst gilt das Werk Les Melles von Claude Monet. Er variiert ein Motiv unter verschiedenen Lichtverhältnissen, weil das Wesen des Motivs aus seiner Sicht nur durch verschiedene Abbildungen dargestellt werden konnte. Mit der Zeit verändert sich das Licht und damit das dargestellte Objekt. In der Fotografie hat  Eadweard Muybridge im 19. Jahrhundert wird deutlich, was das Phänomen der Bewegung ausmacht. Bereits seine Fotografie stellt klar, dass die Einzelaufnahme nicht das Maß aller Dinge ist und die Serie in der Kunst etwas zur Welterkenntnis beizutragen hat.

    Die Serie kommuniziert anders mit dem Betrachter als das Einzelbild. Ein Serie spricht uns als Kollektiv an und verweigert dem Einzelbild in der Serie die exklusive Beziehung zum Betrachter. Eine Serie hat immer einen inhaltlichen Anspruch, der ihre Bestandteile zusammenhält. Manchmal weisen die Bilder formale Gemeinsamkeiten auf, aber nicht immer. Gestalterische Element können für eine bestimmte Serie wichtig sein, machen vielleicht ihren visuellen Reiz aus und werden von manchen Künstlern eingesetzt, um eine Botschaft oder Bedeutung zu vermitteln. Sie sind aber nicht unverzichtbar, wenn es um den Wesenskern dessen geht, war wir als Serie benennen. Allein das Konzept bzw. der tragende Gedanke zählt. Ohne Konzept keine Serie.

    Die Bandbreite der konzeptionellen Ansätze in der seriellen Fotografie ist unbegrenzt. Das Neue und Überraschende wird uns nicht ausgehen. In unseren Gesellschaften, die sich im ständigen Wandel befinden, entstehen jeden Tag neue Optionen für serielles Arbeiten in der Kunst. Cindy Sherman setzte sich  in Selbstporträts mit Geschlechterklischees und Identität auseinandersetzt. Verschiedene Kostüme und Posen in der Serien Untitled Film Stills legen weibliche Stereotypen offen. August Sander fotografierte typisierende Sozialstudien und bildete mit seinen Portraits die Gesellschaft seiner Zeit ab. Bernd und Hella Becher sind industrieanthropologisch unterwegs gewesen. Sie wollten typische Artefakte unserer Industriekultur festhalten und daraus einen Ausschnitt unserer Industriegeschichte festhalten, der uns Menschen zu einem bestimmten Zeit allgegenwärtig war und dann verschwand. Das seriell auch die identische Wiederholung eines Bildes sein kann, wissen wir seit Andy Warhol. Er kritisiert damit den Kult zur Singularität in der Kunst. Was hätte Warhol wohl gemacht, wenn er die Sehnsucht erlebt hätte, die heute unsere ganze Gesellschaft nach dem Singulären und Besonderen erfasst hat.

    Im Gegensatz zu der Serie des Steve Luxembourg sind die realtiätsnahen Serien der gerade genannten Künstler leichter zu dekodieren. Da aber jedes Werk eines Künstlers erst durch die Erfahrung des Betrachters zur Kunst werden kann, bedarf es aus meiner Sicht immer eines Schlüssels zum Verständnis. Wenn das Konzept der Serie nicht offensichtlich ist, bedarf es eines Subtextes, den der Künstler schon im eigenen Interesse gerne bereitstellt. Steve Luxembourg hat in seiner Präsentation eine überzeugende Erläuterung geliefert. Wenn der Betrachter eine Serien nicht versteht, darf er oder sie gerne den Künstler befragen. Er ist die Bringschuld des Künstlers bzw der Künstlerin, dass Konzept einer Serie transparent zu machen. Und es ist die Verantwortung des Veranstalters von Präsentationen und Wettbewerben zu definieren, was unter der Kategorie Serie zu verstehen ist, damit Künstler, Publikum und Jury eine gemeinsame Basis haben und ärgerliche Missverständnisse vermieden werden.

    Die Serie ist und bleibt für den Künstler wie den Betrachter eine spannende Herausforderung. Eine Serie vervielfältig die Handlungsoptionen des Künstlers, sein thematisches Anliegen zu kommunizieren und führt den Betrachter auf eine anspruchsvolle Entdeckungsreise, mit meist spannenderem Verlauf als beim Einzelbild. Es lebe die Serie und ihr Thema.


    Christoph Linzbach

    https://www.artforum.com/print/196710/the-serial-attitude-36677

    https://steveluxembourg.com/works