Der Salon ReVue in Kooperation mit dem f3 freiraum für fotografie hat am 12.06. in Berlin eine der großen gesellschafts- und gesundheitspolitischen Herausforderung unserer Zeit auf eine ungewöhnliche, gleichwohl fachlich kompetente, ernste und im besten Sinne des Wortes unterhaltsame Weise thematisiert.
»Fotografie und Demenz« war der Titel eines spannenden Diskussionsabends mit der Autorin Heike Rindfleisch (Co-Autorin Stolen Moments) und dem Mediziner Prof. Dr. med Torsten Kratz (Leiter Gerontopsychiatrie, Ev. KH, Berlin). Durch den Abend führte Zora del Buono (ReVue).
Zuallererst mag die assoziative Verknüpfung der beiden Begriffe Demenz und Fotografie die Frage aufrufen, ob es hier um den richtigen fotografischen Umgang mit Menschen geht, die an einer dementiellen Erkrankung leiden. Auch darum drehte sich die Diskussion, aber in erster Linie ging es um die Demenzerkrankung des Schweizer Fotografen Daniel Comte, sein Erleben und Erleiden dieser Krankheit begleitet von seinem eigenen unermüdlichen fotografischen Streben, die Unterstützung durch Angehörige und eine Vertraute in den letzten Lebensjahren und die medizinische und therapeutische Einordnung der Herausforderung Demenz.
Demenz und Fotografie sind in und mit dem Schicksal des Daniel Comte eng, vielfältig und auf verschiedenen Ebenen verwoben. Ein Lehrstück über das, was Fotografie ausmacht, was sie auf der individuellen Ebene und für die Gesellschaft zu leisten in der Lage ist.
Die Fotografie war für den mit 51 Jahren an Alzheimer erkranken Daniel Comte weit mehr als nur ein Zeitvertreib in einem Leben mit wachsender Unsicherheit und Desorientierung. Das Fotografieren nahm im Verlauf der Krankheit obsessive Züge an. Er gab, solange er die Möglichkeit dazu hatte, die Kamera nicht aus der Hand, fotografierte täglich.
In guten sprich gesunden Zeiten war er, wie die Züricher Zeitung schrieb, bereits eine Kultfigur, die für Aufträge rund um die Welt flog. Seine Krankheit machte ihn dann endgültig zur Ikone. Demenz bedeutete Arbeitsplatzverlust, aber nicht die Aufgabe der Fotografie. Als Fotograf wußte er um die Eigenschaft der Fotografie, den einen ganz besonderen Moment im Bild festzuhalten. Sie wurde zu seinem Instrument gegen das Vergessen. Nicht in einem journalistisch-dokumentarischen Sinne, sondern ganz und gar emotional und poetisch hielt er Momente des Alltäglichen fest und postet sie auf Facebook.
Aus den zwischen 2013 und 2016 gemachten Fotografien entstand auf Wunsch Daniel Comtes ein Buch. Das Projekt wurde von seinem Sohn Anatole und Heike Rindfleisch gemeinsam entwickelt. Die 58-jährige Marketingfachfrau arbeitete jahrelang eng mit Daniel Comte zusammen. Er hielt das Buch noch zu seinen Lebzeiten in Händen, fand darin Trost und Stärkung als er bereits in einem auf die Pflege von Menschen mit Demenz spezialisierten Heim lebte und nicht mehr fotografieren konnte.
Prof. Dr. med Torsten Kratz knüpft in seinen Ausführungen an die emotionale Dimension der Fotografie an, in dem er ihre Rolle in der Reminiszenztherapie erläutert. Es geht darum, Menschen mit dementiellen Erkrankungen Halt und Sicherheit zu geben. Und das funktioniert ab einem bestimmten Stadium nicht mehr über einen rationalen Zugang, sondern nur noch dadurch, dass der Therapeut die Erkrankten emotional erreicht. Die Reminiszenztherapie nutzt Fotografien, im Bild festgehaltene Erinnerungen, um positive Stimmungen hervorzurufen und Gespräche mit dem Patienten zu stimulieren.
Die Gäste erfahren an diesem Abend im freiraum für fotografie viel über das individuelle Schicksal eines herausragenden Fotografen, über die Menschen, die ihn aufopferungsvoll begleitet und unterstützt haben und über den richtigen therapeutischen und damit auch ethisch angemessenen Umgang mit Demenzkranken. Wir lernen an diesem Abend die Krankheit näher kennen, ohne belehrt zu werden. Wir nacherleben ein Schicksal und werden dabei klug und anregend fachlich begleitet.
Demenz ist eine Krankheit, die unbedingt mehr Öffentlichkeit verdient. Es kann jeden und jede treffen. Dem Salon ReVue in Kooperation mit dem f3 freiraum für fotografie gelingt mit der ungewöhnlichen thematischen Verknüpfung von Fotografie und Demenz und einem sehr bereichernden Perspektivwechsel ein tolles Format, dass ein schwieriges Thema anschaulich macht und für mehr Aufmerksamkeit für eine große Herausforderung sorgen kann. Diesem Format möchte man gerne einen größeren Rahmen wünschen. Ein Blick auf die angefügten Websites lohnt sich.
Christoph Linzbach
https://www.stolen-moments.ch/home
https://www.re-vue.org/
https://fhochdrei.org/event/salon-revue-fotografie-und-demenz/