Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 22.01.2023 Wettbewerbs- und Ausstellungshinweise

    Milan Koch

    und seine zeichenhafte Fotografie




    Milan Kochs Ausstellung "Territorium" wurde am 19.01.2023 im Haus am Kleistpark in Berlin eröffnet. Der traditionsreichen  kommunalen Galerie ist mit der Präsentation ein kleiner Coup gelungen. Es ist seine erste Ausstellung und wenn der Karriereweg dieses ausserordentlich begabten Künstlers die  richtige, die angemessene Richtung zu breiter Aufmerksamkeit und Wertschätzung einschlägt, kann sich dies die Direktorin Barbara Esch Marowski mit Recht auch auf ihre Fahnen schreiben. Sie und der Vorstandsvorsitzende der DGPh Michael Biedowicz fanden an diesem Abend kluge und einfühlsame Worte, die für seine künstlerische Einordnung in Zukunft wegweisend sein werden. So meine Hoffnung.

    Michael Biedowicz stellt an den Anfang seiner Ausführungen die Frage des Zugangs: „Ich musste kein visuelles Konzept eines mir damals noch unbekannten Fotografen entschlüsseln - die Bilder, die Szenen öffneten sich für mich sofort.“ Das sagt etwas über die Zugänglichkeit der  Fotografie des Milan Kochs aus, bedeutet aber keinesfalls, dass wir es hier mit Fotografien zu tun haben, die auf der Oberfläche verharren, keine tieferen Deutungen zulassen, ja einfordern. Wie Frau Esch Marowsky erläutert, wohnt seinen Fotos eine Zeichenhaftigkeit inne, die auf die existentiellen Dimensionen des Lebens verweist. Die Fotos erzeugen beim Betrachter einen unmittelbaren Widerhall gerade weil sie das Typische, immer Wiederkehrende menschlichen und tierischen Lebens treffend herausarbeiten. Natürlich tauchen auch zuordbare Spuren des konkreten Stadtraums Berlins auf. Wo sonst in der westlichen Welt ließen sich prekäre Urfiguren finden, die so überzeugend Ausgesetztheit und Verlorenheit reflektieren?

    Mich erinnert der Satz des Michael Biedowicz an die Frage, wie man sich Bildern als Betrachter annähern sollte. Nicht über im Kopf abgespeicherte, ausgeklügelte Konzepte den Zugang suchen, sondern sich zunächst  nur auf die Bilder einlassen und nicht auf Titel, Begleittexte schielen, die präjudizieren und den Fokus von der Fotografie nehmen. Das entspricht der Herangehensweise des Fotografen, der in einem Interview mit dem OKS-lab gesagt hat: „Ich habe fotografiert, was ich bezeichnend fand für Lebensraum, Stadt und Bewohner.“ Er vertraut seiner Intuition. Im Vergleich zu manch anderem Fotografen klingt diese Herangehensweise  konzeptuell unterkomplex, führt aber wie in der Ausstellung und im Bildband noch besser zu sehen, zu fabelhaften Ergebnissen, die uns viel über die Welt und das Leben erzählen.

    Die Fotos des Milan Koch strahlen eine große Dringlichkeit aus. Die Rohheit und Unkontrolliertheit des einfachen, oft prekären Lebens springt den Betrachter an. Prekäre Lebensumstände können sozial- aber auch gewaltbedingt sein. Beides kommt vor. Das Personal seiner Fotos ist Gewalt ausgesetzt ebenso wie Vernachlässigung und Armut. Blut und Alkohol sind geflossen. Verstörte Polizisten sitzen hinter eingeschlagenen Autoscheiben. Eine Strasse wird mit Polizeihelmen bedrohlich geflutet. Dumpfheit, Freudlosigkeit kommen im bürgerlichen Minenspiel von Passanten zum Ausdruck, das Wehrhaftigkeit und Abschottung signalisiert. Junge Männer klammern sich an und demonstrieren ihre Männlichkeit. Andernorts wird Männlichkeit Ausdrucksmittel einer orientierungslosen Existenz. Ein Restposten der bleibt, wenn sonst alles verloren ist. Auch der Luxus kommt in seiner Bildern vor. Junge Männer amüsieren sich in einer Stretch-Limo. Zwei Männer tragen Gucci-Jacken auf dem Alex. Eingepasst in den Stadtraum am Alex verlieren sie ihre noble Anmutung. Sie werden umgedeutet zu Artefakten der Tristesse. Die Bilderwelt des Milan Koch bietet eine fotografisches Kontrastprogramm zu medialen Scheinwelten, Wohlfühloasen,  Erfolgsgeschichten über Selbstoptimierung und  Modeikonen, die sich uns tagtäglich aufdrängen, am Ende des Tages unerreichbar bleiben und bei vielen Menschen nur Frust hinterlassen. Seine Bilder zeigen indirekt auf, dass die Welt als Ort wechselseitiger Verständigung und gemeinsamen Handelns an Bedeutung verliert und sich die Scheinwelten in unseren Köpfen und Herzen immer breiter machen. Er liefert ein beeindruckendes Plädoyer für das reale, das echte Leben.

    Der Katalog zur Ausstellung war in der ersten Auflage mit 100 Exemplaren schnell vergriffen. Ein zweite Auflage liegt vor. Die Aufmachung des Katalogs, die Qualität des Papiers hebt sich wohltuend ab von den High-End-Editionen, die über die Qualität des Trägermediums punkten wollen. Keine Titel und Erklärtexte verstellen den Blick auf die Fotos. Der kurze dem Katalog vorangestellte Gedankenstrom des Fotografen lädt uns ein in die Welt seiner Bilder. Eine Einladung und keine Textvorgabe, die im Anschluss bebildert wird. Zur Drucktechnik sagt Milan Koch im Interview:

    „Risographie sieht klasse aus und harmoniert super mit dem analogen Korn, finde ich. Die dunklen Bilder setzt die Risomaschinen auch problemlos um – man hat viel mehr Zeichnung in den Tiefen als mit normalen Xerox-Druckern. Außerdem ist das Verfahren recht ökologisch. Die Risotinte trocknet auch nie so richtig ganz ein, wenn man das Buch also durchblättert, wird man immer ein wenig schwarze Finger bekommen. Das war für mich dann auch schlagendes Argument das Buch im Riso-Verfahren zu drucken – ein Buch von dem man schmutzige Hände bekommt. Das passt super!“

    Der Mann weiß, was er macht. Die Ausstellung läuft noch bis zum 12.03.2023.

    Christoph Linzbach

    http://milankoch.de/

    https://www.hausamkleistpark.de