Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 01.11.2022 Fotografische Grundlagen

    Kreativität und...

    ... die unterschätzten textbasierten Bildgeneratoren



    Eines der Schlüsselworte in der Debatte über Leistungsfähigkeit, Akzeptanz und Funktionsweise der neuen textbasierten Bildgeneratoren wie DALL-E 2 ist das Wort Kreativität.
     
    Peter Bialobrzeski erklärt in der aktuellen Photonews zu der Frage, was solche Programme in der Lage sind zu leisten: „Allerdings können sie auch immer nur auf bestehende ästhetische Muster zurückgreifen, das System kann nur neu kombinieren, aber nicht wirklich schaffen.“ Er räumt im Nachsatz ein, dass solche Programme in Zukunft in der Lage sein werden, Personen zu erschaffen, die es in der Realität nicht gibt. Aus seiner Sicht hat das aber nichts mit Kreativität zu tun. Das sei bloßes Handwerk. „…seit Duchamp bedeutet künstlerische Expertise kein Handwerk sondern konzeptionelle Klugheit und Weltwissen. Eben damit können selbstlernende Systeme nicht aufwarten.“
     
    Das mag sein, aber DALL-E 2 und vergleichbare Programme produzieren Bilder auf der Grundlage von Textvorgaben, ggfs. ergänzt durch Bildeingaben. Auf die Bilderwelt des Internets haben sie Zugriff. Aber da ist noch mehr denkbar. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dem Programm für die Genese eines Bildes das gesamte kunsthistorische vielleicht sogar kulturelle Wissen dieser Welt, sofern es sich in Textform darstellen läßt, zur Verfügung zu stellen. Sozusagen zur freien Auswahl. Ergänzt durch entsprechendes Bildmaterial des Künstlers wie Abbildungen von römischen Statuen, Flugzeugabstürzen, Heiligenbilder aus der frühchristlichen Zeit oder Abbildungen von Readymades aus den Jahren 1913 bis 1919, die als Originale verloren gegangen sind. Whatever ist takes! Der Vorstellungskraft sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.
     
    Die Kreativität des Künstlers vielleicht Künstlerkollektivs fließt bei der Nutzung von Programmen wie DALL-E 2  in der Text- und Bildeingabe ein. Das Programm kombiniert die Eingabe mit dem passenden Ausschnitt aus der Bilderwelt des Internets und produziert ein Ergebnis. Was wäre wenn in Zukunft, Programme wie DALL-E 2 nicht nur auf Millionen von Bildern zurückgreifen könnten, sondern auf Texteinträge in Lexika oder gar den gesamten digitalisierten Bestand der Bibliotheken dieser Welt?
     
    Auch das wäre streng genommen noch keine Kreativität im menschlichen Sinne. Die KI kann exploratorisch und kombinatorisch kreativ sein, verfügt aber noch nicht über die Fähigkeit der transformativen Kreativität. Transformativ bedeutet im konkreten Anwendungsfall eines Kochrezeptes Regeln auszulassen, zu modifizieren oder völlig neu zu kombinieren. Wie das menschliche Gehirn diese Art der Transformation mit Leichtigkeit bewältigt, hat die Wissenschaft noch nicht verstanden. Zudem haben Maschinen nicht oder noch nicht die Absicht, kreativ sein zu wollen. Menschen probieren aus, um Neues zu schaffen. Eine solche Absicht kombiniert mit einer entsprechenden Planung eines schöpferischen Prozesses existiert bislang nur in der Welt der Zukunftsromane.
     
    Wie relevant diese kategorial anmutende Unterscheidung zwischen menschlicher Intelligenz und „Maschinenintelligenz“ in der Praxis in Zukunft sein wird, bleibt abzuwarten. Ich habe hier meine Zweifel. Allein die Fülle des der KI heute schon zur Verfügung stehenden Materials wird zu Bildergebnissen führen, die uns ebenso kreativ erscheinen mögen, wie jedes allein menschengemachte Werk. Ich wiederhole mich: Zumal nicht vergessen werden darf, dass die Vorstellung des Künstlers als Textvorgabe einfließt. Vielleicht sollte man, statt die maschinelle Intelligenz abzuwerten, fragen: Wird in diesem Prozess die bislang nur dem Menschen zugesprochene transformative Intelligenz zumindest mit Blick auf das Ergebnis erfolgreich simuliert?
     
    In dem Beitrag von Peter Bialobrzeski schwingt Pessimismus gegenüber Auswirkungen textbasierter Bildgeneratoren und damit möglichen Entwicklungen in Kultur und Kunst mit. Gefahren beschreibt er anschaulich und ganz sicher auch richtig, Chancen dagegen nicht so klar. Die „gute“ menschliche Kreativität der „schlechten maschinellen Kombinatorik“ gegenüberzustellen, scheint mir eine philosophische vielleicht auch moralisierende Übung zu sein, um die sich im realen Leben in Zukunft niemand kümmern wird. Auftraggeber im Bereich Werbung betrachten das Ergebnis und werden die kostengünstige Herstellung selbstverständlich bevorzugen. Nach welchen Kriterien wird der Kunstexperte in Zukunft die Frage nach der Kreativität eines textgenerierten Bildes beurteilen? Darauf darf man gespannt sein. Wird er auf den Entstehungsprozess schauen oder auf das Ergebnis? Ganz sicher auf das Ergebnis.
     

    Christoph Linzbach