Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 11.05.2022 Hintergrundwissen , Wettbewerbs- und Ausstellungshinweise

    Diskurskultur vom Feinsten

    Die Frühjahrstagung der Deutschen Fotografischen Akademie in Mannheim



    Die DFA praktiziert und befeuert seit über 100 Jahren den Diskurs über die künstlerische Fotografie mit dem Ziel, diese zu fördern und zu stärken. Die Diskurskultur der DFA ist dabei von permanenter Selbstreflexion mit dem eigenen Auftrag und aktuellen wie historischen Entwicklungen in der Fotografie geprägt.  Die Frage nach der zeitgemäßen Aufstellung der eigenen Organisation ist für die DFA ebenso wichtig, wie die Ausstrahlung ihrer Arbeit sprich ihrer Debattenbeiträge  in die fotografische Landschaft  und in die Gesellschaft hinein. Beides gehört untrennbar zusammen. In der DFA ist in den letzten Jahren zudem das Bewusstsein gewachsen, dass die Pflege des  kulturelle Erbe, des organisatorischen Gedächtnisses ebenso wichtig ist wie der wertschätzende Blick auf das Lebenswerk der älteren Mitglieder und die Aufnahme neuer Mitglieder, die es der Organisation  ermöglichen, über den Tellerrand der künstlerischen Fotografie zu schauen.

    Die DFA ist ein einzigartiger Initiator und Gestalter des Diskurses über die künstlerische Fotografie. Sie prägt vor allem mit ihren Tagungen und ihrem großartigem digitalen Angebot die Diskurskultur in Deutschland. Sie ist sich dabei ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewußt, der sie nicht entgehen kann und will. Wer fotografierelevante Diskursräume schafft, ausfüllt und analog bzw. digital ausgestaltet, erzeugt damit Realität und trägt potentiell auch zur Veränderung der Gesellschaft bei. Zum verantwortlichen Umgang mit der Wirkung von Diskursen gehört eine Kultur der Offenheit und Transparenz. Die Tagungen der DFA sind geprägt von dieser Kultur, weil sie die wesentlichen Gestaltungselemente demokratischer Debatten wie beispielsweise Prozesshaftigkeit und Ergebnisoffenheit in die Welt der Kunst übersetzen.

    Eine der zentralen Fragen der diesjährigen Frühjahrstagung der DFA, die am vergangenen Wochenende in Mannheim im rem, Reiss-Engelhorn-Museen stattfand, war das Verhältnis von künstlerischer Fotografie und politischem bzw. gesellschaftlichen Aktivismus. Die Präsentationen der Künstlerinnen und Künstler verdeutlichten die Bandbreite der möglichen Positionen zwischen dezidiert aktivistisch und konzentriert auf das Künstlerische. Dieses Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Tagung zog, war der parallel in Mannheim laufenden Biennale für aktuelle Fotografie geschuldet. So konnte zwischen beiden Events eine erfolgreiche Brücke geschlagen werden. Der Biennale und der Stadt Mannheim gebührt ein ausdrücklicher Dank.

    Die  Intention von Karen Irmer ist nicht explizit aktivistisch, so scheint es. Sie zeigt Naturräume atmosphärisch dicht, mystisch und geheimnisvoll. Sie spielt mit Grundfragen der künstlerischen Fotografie wie dem Verhältnis von Wahrheit und Wirklichkeit. Ihre Kunst kann aber auch als Appell an unser Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Umwelt gelesen werden.

    Olaf Otto Becker läßt uns mit ganz wunderbar fotografierten Bildern getragen von einer Grundstimmung der Melancholie tief eindringen in ferne soziale Umwelten und sich im Klimawandel verändernde Landschaften des Permafrosts. Ein Appel zur Nachdenklichkeit oder schon Umweltaktivismus? Sind ästhetisch ansprechende, erhaben wirkende Bilder der Umweltkatastrophe legitim? Oder sind sie sogar das Mittel der Wahl, um Veränderungsprozesse zu befördern?

    Paula Markert hinterfragt die standardisierten, einheitlichen und schlichten Bildbotschaften, mit denen wir in den Medien zu Themen wie den NSU-Verbrechen jahrelang konfrontiert wurden. Ganz klar politisch. Sie läßt sich zugleich ein auf die Beobachtung der Entwicklung von Familienkonstellation, die sie aus der Innensicht der Protagonisten zu erzählen weiß. Ganz sicher nicht unpolitisch.

    Beate Gütschow wiederum läßt uns als globaler Star der Fotografieszene teilhaben an ihrer persönlichen  Entwicklung von der künstlerisch orientierten Fotografin zur stärker politisch motivierten Künstlerin, der der künstlerische Anspruch für sich genommen nicht mehr genug, zeitgemäß und adäquat erscheint. Dies demonstriert sie am Beispiel ihres aktuell in der Entwicklung befindlichen Projektes. Negiert sie damit die künstlerische Fotografie als legitime Ausdrucksform vor dem Hintergrund der unfassbar großen Herausforderung unserer Zeit? Wird ihr diese Frage gerecht? In dieser Zuspitzung sicherlich nicht, aber die Nachfrage verdeutlicht noch einmal die Bandbreite möglicher Positionen.

    Der DFA ist es mit der in Echtzeit übertragenen Frühjahrstagung wieder gelungen, einen offene, transparenten, kontrollfreien Diskurs über künstlerische Fotografie aufzustellen, der als Prozess angelegt ist und funktioniert. Er soll und wird über das Ende Tagung hinausreichen. Dafür sorgen rein technisch betrachtet die im Netz auch im Nachgang zugänglichen Debattenbeiträge, die ihre Wirkung nicht verfehlen werden. Sie sorgen für enorme Reichweite. Der Ausbau der digitalen Angebote der DFA erweitert auch die Möglichkeiten der Teilhabe und des niedrigschwelligen Engagements an und in der künstlerischen Fotografie. Das ist wichtig für junge Menschen.

    Das aktuelle digitale Angebot schmälert nicht sondern steigert unsere Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Gästen und Mitgliedern auf der Herbsttagung der DFA am 3. und 4. Dezember 2022 in Hamburg in den Deichtorhallen, Haus der PHOTOGRAPHIE.  Wir werden dann wieder eine Tagung erleben, die eine wunderbare Mischung aus Beiträgen von Mitgliedern, Gästen und dem einzigartigen Portfoliowalk bietet. Zukünftige Mitglieder werden sich vorstellen.  Das mittlerweile wissenschaftlich aufgearbeitete Schriftgutarchiv wird uns auch auf der nächsten Tagung helfen, immer wieder den Blick zurück zu werfen und uns zu versichern, das die Ankerkette noch stramm sitzt. Praktizierte Wertschätzung für das Lebenswerk der älteren Fotografinnen und Fotografen ist eine ständige zukunftsorientierte Aufgabe der DFA, der wir mit digitalen Angeboten heute besser gerecht werden können als jemals zuvor. Alt und neu oder analog und digital: Es gibt keine unvereinbaren Gegensätze und es gibt kein besser oder schlechter. Es gibt allenfalls einen falschen Umgang mit den Möglichkeiten.

    Christoph Linzbach


    https://dfa.photography/post/7-85-dfa-tagung-mannheim

    https://www.deichtorhallen.de/hausderphotographie

    https://www.rem-mannheim.de/

    https://biennalefotografie.de/edition/ausstellungen#ex_ZEPHYR_-_Raum_f%C3%BCr_Fotografie_in_den_Reiss-Engelhorn-Museen,_Mannheim

    https://biennalefotografie.de/

    https://www.mannheim.de/de