Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 13.12.2021 Hintergrundwissen

    Henry Rox...

    ...ein fast vergessener Künstler



    Die Lebensgeschichte des Henry Rox ist ein typisches Beispiel für eine Künstlerkarriere im 20. Jahrhundert. Ausgebildet in Berlin und Paris, wird er 1934 durch die Nationalsozialisten vertrieben, emigriert daraufhin nach Amerika und versucht als Lehrer an einem College in Massachusetts seine Arbeit fortzusetzen.

    Henry Rox wird 1899 als Heinrich Rosenberg in Berlin-Schöneberg geboren. Die Eltern betreiben erfolgreich ein Modegeschäft in der Tauentzienstraße gegenüber dem KaDeWe und eine Filiale in Potsdam. Man macht Urlaubsreisen an die Nordsee und in die Schweiz. Nach dem Abitur wird Heinrich Soldat im Ersten Weltkrieg, er erhält das Eisernen Kreuz II. Klasse. Er studiert zuerst Kunstgeschichte und dann Bildhauerei in Berlin und auch in Paris. Im Studium lernt er seine Frau Charlotte Fleck kennen und gemeinsam leisten sie Beiträge zum Berliner Kulturleben, sie als Journalistin in Zeitungen und im Radio, er als Bildhauer, Innenarchitekt und Gestalter. Familie Rosenberg-Fleck, so nennen sie sich nun, sind in der Kunstszene etabliert und leben im nach eigenen Plänen ausgebauten Dachgeschoss des Modehauses auf der Tauentzienstraße 7a.

    Die Anmeldepflicht für Kulturschaffende in der Reichskulturkammer ab 1934 ist wie ein Berufsverbot für die Familie Rosenberg-Fleck. Man verlässt im selben Jahr Deutschland und versucht in London Fuß zu fassen. Neben verschiedenen kleineren Grafik- und Modelier-Arbeiten für Filmfirmen entwickelt Heinrich Rosenberg-Fleck mit einem englischen Autor eine Idee zu einem Kinderbuch, für das er kleine Figuren aus Früchten und Gemüse baut, die als lebendig handelnde Akteure auch fotografisch von ihm festgehalten werden. Das Buch wird von einem namhaften Londoner Verlag veröffentlicht und Heinrich Rosenberg wechselt hierfür seinen Namen zu Henry Rox, vermutlich - um mit dem eigenen Namen weiterhin als Bildhauer zu arbeiten. Das Buch ist erfolgreich und es entsteht noch eine zweite Geschichte, für die er wieder Figuren und Fotografien liefert.

    Als die Familie des Schwagers 1937 nach Amerika emigriert, ziehen Henry und Lotte Rox 1938 ebenfalls in die Vereinigten Staaten. 1939 erhält er eine Stelle als Lehrer für Kunstgeschichte und Bildhauerei an einem College in South Hadley, 250 Kilometer nördöstlich von New York. Hier versucht er nun seine in Berlin begonnene Karriere als Bildhauer fortzuführen. Zunächst hat er Ausstellungen und erfährt Anerkennung. Doch nach und nach muss er akzeptieren, dass sein Stil, seine eher naturalistische Form der Darstellung von menschlichen Figuren immer weniger gefragt ist.

    Neben den vielen Beschädigungen und Beeinträchtigungen, wie das Wissen um die Ermordung der Verwandten und Freunde in Deutschland, dem Verlust des gesamten Besitzes und eigener Kunstwerke in Berlin, der Notwendigkeit die neue amerikanischen Kultur anzunehmen, einschließlich einer neuen Sprache, dem Leben in einer Kleinstadt, war es ihm wohl unmöglich, nun auch noch seine künstlerischen Vorstellungen, die er in der Zeit der Weimarer Republik erlernt hatte, aufzugeben und sich den moderneren Formen der Bildhauerei mit ihren abstrakten Weiterentwicklungen anzunähern.

    Demgegenüber wurden seine Fotografien der kleinen Kreationen aus Gemüse und Obst gerne und begeistert aufgenommen. In den bekanntesten amerikanischen Journalen und sogar in einem Hollywood-Musikfilm konnte Henry Rox seine 'fruit-sculptures' als animierte Musiker präsentieren. Die Leichtigkeit, Eleganz und Offenheit dieser Fotografien begeisterten damals und beeindrucken noch heute.

    Trotz oder vielleicht sogar wegen seiner wenigen Kenntnisse von künstlerischer, freier und auch werblicher Fotografie ider 1940 Jahre bilden seine Bilder eine eigene Position im Bereich der Inszenierten Fotografie. Sie können unter dem Aspekt der Wahrnehmung als verbindendes Glied zwischen dem Surrealismus (eines Man Ray) und der Popart (eines Claes Oldenburg) verortet werden. Unter dem Aspekt der Darstellung bilden sie die Verbindung zwischen der Neuen Sachlichkeit (einer Änne Biermann) und der Wurstserie von Fischli und Weiss.

    Rox transferiert seine Visionen mit Humor, Ironie, Menschlichkeit und Charme. Er kooperiert mit den Früchten, sie bieten ihm eine bestimmte Form an, die er gleichsam vorgegeben nur noch vervollständigt. Er nutzt nicht die bekannten Parameter der künstlerischen oder werblichen Zusammenhänge, er kreiert eine neue und direkte Welt. Der sensible und doch klare Umgang mit den Naturprodukten ist nicht nur neu und  einmalig, er ist auch technisch auf der Höhe der Zeit mit Großbildtechnik und Colormaterial. Was diese Bilder ausmacht, ist ihre verspielte Konstruiertheit, die die Realität im doppelten Sinne zeigt, ohne sie bewusst zu demonstrieren oder zu zelebrieren, es ist diese Standpunktklarheit des Erfinder-Fotografen-Künstlers. Die Tatsache, dass Henry Rox hier keine kontrollierende Institution berücksichtigen muss, keine Vergleiche mit anderen Künstlern einzugehen braucht, gibt ihm eine Freiheit und Leichtigkeit, die bei seinen Bildhauerarbeiten fehlt.

    Wer einmal ein Bild von ihm gesehen hat, wird es nie wieder vergessen, zu eindringlich, zu ungewöhnlich und überraschend liebevoll sind seine Kunstwerke.

    Wolfgang Vollmer


    https://www.pavlovsdog.org/index.php/artists/henry-rox/


    https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_Rox

    http://fotohof.net/content.php?id=31&buchid=1024

    http://www.wolfgangvollmer.de/archive/archives/henryrox.php