Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 26.05.2021 Hintergrundwissen

    Anja Engelke erkundet ihren eigenen Weg

    Wie findet man die Dinge, die es wert sind, fotografiert zu werden?


    Eine der besonders beeindruckenden Gästepräsentationen während der diesjährigen DFA-Fotodialoge war für mich die von Anja Engelke. Wolfgang Zurborn hatte die Fotografin eingeladen und führte in ihr Werk ein. Eine gute Wahl und ein gelungener Auftritt einer tollen Künstlerin. Die Ursprünge der Fotografie der jungen Künstlerin liegen im Bereich der Dokumentation. Im Laufe der Zeit reflektiert sie in ihren Fotos zunehmend das Medium selbst. Sie setzt sich mit Fotografiegeschichte, sprich fotografischen Vorbilder auseinander. Und das mit viel Humor. Ihre Serien thematisieren fast durchgängig die Rolle von Raum und Alltag.

    Der Nachbau eines Bildes als Kulisse ist für Anja Engelke eine Möglichkeit, sich mit der gezeigten Realität und deren fotografischen Abbildung auseinanderzusetzen. Dahinter steht für sie die Frage, wie sie zu einem bestimmten Bild steht. Im Theater spielt die Kulisse eher eine Nebenrolle, bei Anja Engelke ist sie Hauptakteur. Mit ihrer Arbeit Room 125  hat sich die Fotografin einen Traum erfüllt. Den Traum ein Bild zu bewohnen, in eine Fotografie einzuziehen und Veränderungen in ihrem bildlichen Inhalt vorzunehmen. Ihr außergewöhnliches Fotoprojekt hat die Arbeit »Room 125« des amerikanischen Künstlers Stephen Shore als Ausgangspunkt. Sie fotografiert in ihren eigenen vier Wänden die Fotos, von denen sie glaubt, dass der Fotograf sie hätte auch machen können, aber nicht gemacht hat und so dem Publikum in gewisser Weise vorenthält. Insgesamt über 20 Fotos. Die Tatsache, dass sie in dem bewohnten Foto von Stephen Shore das Licht ausmachen kann, sieht sie als Möglichkeit der „Machtausübung“. Eine Macht, die wie ich finde, kaum hintergründiger daherkommen könnte. Im Kerber Verlag ist ein Buch erschienen, dass die fotografische Aneignung und Auseinandersetzung der Anja Engelke mit dem Werk von Stephen Shore zeigt.

    Anja Engelke sprach über zwei weitere Arbeiten: „The Ferry“ und „Piece of Cake“. Ein Stipendium des Goethe-Instituts und der Stadt Bremen führte sie 2016 nach Izmir, wo sie das Projekt „The Ferry“ umsetzte. Ihre Fotos entstanden auf den Golf von Izmir kreuzenden Fähren. Wie bewegen sich Menschen im Raum und was macht der Raum mit den Menschen, hat sie nach eigenem Bekunden an der Situation auf den Fähren interessiert. Menschen sitzen, reden, liegen oder träumen am Fenster der Fähre. Die überbelichteten Scheiben lassen keinen Blick nach draussen zu. Das verstärkt den fast sakralen intimen Charakter der Interieurs. Die Bilder strahlen Stille und Ruhe aus. Bemerkenswert wenn man den Trubel und die Bewegung vor Augen hat, die eine Überfahrt auf einer Fähre kennzeichnen.

    In ihrem Projekt „Piece of Cake“ kurz nach dem Studium in den Jahren 2008/09 stellt sie die Frage, wie Fotoikonen entstehen. Sie findet ihren ganz eigenen Weg der Nachbildung ikononografischer Fotos, in dem sie das Abgebildete nachbackt und das Gebäck dann wieder abfotografiert. Sorgfältig stellt sie ein Foto von Martin Parr nach. Die unterbelichteten Stellen des Fotos werden im Modell mit Kakaopulver nachgedunkelt. Selbstverständlich verinnerlicht sie die gebackene Vorlage, jedenfalls in Teilen.

    Anja Engelke nimmt sich mit hintergründigem, ja existentiellem Humor, großer Leichtigkeit und stringent reflektierend berühmte Fotografinnen und Fotografen vor. Selbst Hilla und Bernd Becher bzw. Ihre Fachwerkhäuser erwiesen sich als backbar. Auch wenn die originalgetreue Farbgestaltung des Gebäcks wohl nicht ganz leicht zu bewerkstelligen war. Gut für uns, dass Stephen Shores Foto gut bewohnbar ist.

    Klickt den beiliegenden Link an und ihr werdet begeistert sein.

    Christoph Linzbach

    https://www.youtube.com/watch?v=ymQ2g7OsYa4